Persönliches
Von Reto Parolari
Durch Zufall hatte ich Anfang der siebziger Jahre erfahren, daß Ernst Fischer und meine Familie im Tessin nahezu Nachbarn waren; sein Haus lag am selben Hügel wie das unsere, etwa 2 km Luftlinie entfernt. Ich war damals noch im Studium und stand kurz vor der Gründung meines eigenen Orchesters. Ich habe Ernst Fischer in dieser Zeit oft besucht und er hat mich in meinen Unternehmungen immer sehr unterstützt, war es doch für einen Musikstudenten eine etwas ausgefallene Idee, ein Orchester zur Pflege der gehobenen Unterhaltungsmusik zu gründen. Fischers Seriosität, seine absolute Beherrschung des musikalischen Handwerks und sein Ideenreichtum haben mir damals sehr geholfen, meine Pläne weiterzuführen. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, daß ich im allerersten Programm meines Orchesters bereits ein Werk von Ernst Fischer dirigierte. Dennoch gab er mir oft wertvolle Tips zur Aufführungspraxis. Er selber äusserte sich immer kritisch über das rasante Tempo, welches viele Dirigenten im vierten Satz - einer Tarantella - seiner Suite „Südlich der Alpen“ anschlugen. „Die wollen alle ihre Streicher brillieren lassen und vergessen, daß dazu getanzt werden sollte“, war sein berechtigter Einwand.
Auf seinem verstimmten Klavier lagen meist Partituren französischer Komponisten, was mich ebenfalls beeindruckte, kann doch die Brücke zwischen E- und U-Musik (welch ungerechtfertigte und sinnlose Trennung!) vor allem über diese Komponisten geschlagen werden.
Zum verstimmten Klavier übrigens äußerte sich der Komponist Rio Gebhardt wie folgt: „Nun weiß ich, wie Fischer auf seine vielen modernen Harmonien kommt - er hat daheim ein total verstimmtes Klavier.“ In der Tat aber gehörte Fischer zu den Komponisten, die ohne Klavier ihre Werke niederschreiben konnten. Das Wort „Komponist“ findet besonders in Ernst Fischer seinen richtigen Sinn, da er seine Werke selber arrangierte (auch die S.O. und Combo-Ausgaben) und alles auch selber orchestrierte. Auf meine Frage hin, ob er eigentlich alles selber arrangieren würde, entgegnete er mir ziemlich entrüstet: „Also hören Sie mal, das wäre doch sonst nichts eigenes mehr!“
Von unserer Terrasse hoch über dem Lago Maggiore konnte ich jeweils in der Frühe mit einem Feldstecher sehen, ob die Jalousien schon hochgedreht waren, und bin dann - mit einem Mofa übrigens - zu den Fischers hinüber gefahren, wo er mich mit einem fürchterlich grünen Cocktail in der Hand um zehn Uhr morgens begrüßte. Als er mir ein ebensolches Getränk anbieten wollte mit dem Hinweis, er würde täglich eine Viertelstunde vor dem Essen einen Cocktail trinken, wandte ich ein: „Aber es ist doch erst zehn Uhr!“ Darauf Ernst Fischer: „Zugegeben, im Lauf der Jahre hat sich diese Viertelstunde ausgedehnt…“
Seine Frau hat viel fotografiert. Der Garten der Fischers war sehr steil und man war gezwungen, überall kleine Nischen für Blumen und Kakteen zu mauern. Edith Fischer hat vor allem viele dieser Pflanzen fotografiert; später übrigens bei Besuchen bei uns auch in unserem Garten. Ihr ist es auch zu verdanken, daß noch ein paar Fotos von Ernst Fischer und mir existieren.
Fischer hatte unter seinen Kompositionen auch besondere Lieblinge. So legte er mir auch vor allem seine Ouvertüre „Jugendstreiche“ ans Herz, die ich mangels genügend großer Orchesterbesetzung erst viele Jahre später im Sinne des Meisters aufgenommen habe. Gerade dieses Werk zeigt Fischers humoristisches Naturell. Einerseits den witzigen Foxtrott-Einfall, andererseits die streng durchgearbeitete Komposition, gipfelnd im Fugato. Seine Partituren verzierte er oft mit lustigen Zeichnungen.
Etwas habe ich auch bei anderen Komponisten nie begriffen. Warum immer die Bandgeräte und Plattenspieler in einem Schrank auf Bodenhöhe installiert wurden. So fand uns jeweils seine Frau auf dem Teppich herumkriechend nach Platten und Kassetten suchend.
Erinnern kann ich mich auch noch daran, daß er mir die Suite „Danzorama“ abspielen ließ und mir die Partitur hinlegte. Nach ein paar Minuten klappte er mir mittendrin die Partitur zu und sagte: „Zuhören müssen Sie eigentlich, nicht hinschauen.“
Seine Komposition „Am Zuckerhut“ war jahrelang der musikalische „Rausschmeißer“ meines Orchesters. Das Material dazu gab mir Ernst Fischer einmal mit den Worten: „Wissen Sie, eigentlich wollte ich mich über die Schlagerbranche lustig machen; dummerweise wurde der Titel sogar ein Hit…“ Auf meinen Hinweis, daß vor allem seine Harfenstimmen sehr gut gearbeitet seien, kam seine lapidare Antwort: „Ich war mal mit einer Harfenistin befreundet.“